Wie gefährlich sind multiresistente Keime – und wie kann man sich schützen?
Mangelnde Krankenhaushygiene und gefährliche Krankenhauskeime – beides geistert in wiederkehrenden Abständen als „Schreckgespenst“ durch unsere Medienlandschaft und sorgt für Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung. Im Interview erklärt Professor Dr. Dr. Wilfried Bautsch, Chefarzt des Instituts für Mikrobiologie, Immunologie und Krankenhaushygiene am Klinikum Braunschweig, wann multiresistente Keime wirklich gefährlich werden und warum die Darstellung in den Medien oftmals missverständlich ist. Der Experte erläutert außerdem, was die Krankenhäuser in unserer Region ganz konkret tun, um die Ausbreitung multiresistenter Keime zu bekämpfen – und er macht deutlich, warum es wichtig ist, nicht bei jeder Erkältung ein Antibiotikum vom Arzt einzufordern und weshalb sich eine nachhaltige Ernährungsproduktion wirklich lohnt.
Frage: In den Medien hört man immer häufiger von „multiresistenten Keimen“. Was genau ist darunter zu verstehen?
Prof. Bautsch: Weltweit – und natürlich auch hier in Deutschland – ist eine besorgniserregende Zunahme von Resistenzen vieler Infektionserreger gegen Antibiotika zu beobachten, häufig sind die Bakterien sogar gleichzeitig gegen viele verschiedene Antibiotika resistent. Letzteres bezeichnet man dann als „Multiresistenz“, obwohl eine international verbindliche Definition dieses Begriffs für die Krankenhaushygiene bislang noch fehlt. Das wohl bekannteste Beispiel eines Infektionserregers mit einem breiten Antibiotikaresistenzmuster (also einem „multiresistenten Erreger“) ist der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, kurz genannt MRSA.
Frage: Was ist das gefährliche an diesen Erregern?
Prof. Bautsch:Zunächst einmal sind solche Erreger nicht gefährlicher oder ungefährlicher als ihre Antibiotika-sensiblen Vertreter. Das bedeutet, dass die multiresistenten Varianten eines Keimes nicht häufiger krank machen als ihre Antibiotika-sensiblen Vertreter und eine Infektion damit auch grundsätzlich nicht schwerer verläuft. Wenn ich einen solchen Keim sogar nur an oder in meinem Körper habe (etwa auf der Haut oder in meinem Stuhl) – wir bezeichnen das als Kolonisation im Gegensatz zu einer Infektion –, merke ich rein gar nichts. Wenn es aber zu Infektionen mit solchen Erregern kommt, sind diese nur noch schwierig und gelegentlich gar nicht mehr mit Antibiotika zu therapieren. Und genau deshalb sind Infektionen mit multiresistenten Erregern so gefürchtet. Diese Entwicklung ist mittlerweile als ein zentrales Problem der aktuellen und zukünftigen Patientenversorgung erkannt worden, auch außerhalb des eigentlichen Gesundheitswesens, in der Politik und der allgemeinen Öffentlichkeit.
Frage: Wie kann ein Patient, der einen multiresistenten Erreger in sich trägt, behandelt werden?
Prof. Bautsch:Solange keine Infektion auftritt, ist es für den Träger belanglos, ob er einen multiresistenten oder Antibiotika-sensiblen Keim in sich trägt (das heißt auf Haut und Schleimhäuten, im Stuhl etc.). Insofern ist auch keine Behandlung erforderlich. Hier zielen unsere Bemühungen darauf, die Weiterverbreitung auf andere Menschen zu verhindern. Zudem ist es nur sehr selten möglich, den Trägerstatus durch eine desinfizierende Behandlung zu beenden. Das klappt in vielen Fällen beim MRSA, ist aber bei anderen multiresistenten Keimen, etwa 3-MRGN oder VRE, nicht erfolgversprechend. Hier wird man einfach zuwarten müssen, bis die Keime „von selber“ verschwinden. Das kann, je nach Keim verschieden, viele Wochen und Monate dauern. Sie sollten während dieser Zeit aber keine Antibiotika einnehmen, sonst funktioniert das nicht.
Im Falle einer Infektion ist man natürlich auf Antibiotika angewiesen. Und genau da liegt das Problem: Es gibt nur noch wenige, sogenannte Reserveantibiotika, die noch wirken, und gelegentlich sogar gar keine wirksamen Antibiotika mehr. Dann sind wir auf die Selbstheilungskräfte des Patienten angewiesen. Natürlich kann man auch hier unterstützend eingreifen etwa durch gesunde Ernährung, gute Wundversorgung, gegebenenfalls Schmerzmittel usw.
Frage: Die Rate an multiresistenten Erregern nimmt zu, wie Sie selbst sagen. Vor Kurzem wurden in den Medien erschreckende Zahlen zu Todesfällen in Deutschland verbreitet, die an multiresistenten Erregern verstorben sein sollen. Stimmt das?
Prof. Bautsch:Die Darstellung in den öffentlichen Medien ist begrifflich noch häufig unscharf: Nehmen Infektionen zu? Oder nehmen Infektionen mit multiresistenten Erregern zu? Oder nimmt die Nachweisrate bei Patienten zu, wobei es sich ja auch um eher harmlose „Besiedlungen“ handeln kann, und eben nicht um Infektionen? Ohne genaue Einsicht in das zu Grunde gelegte Datenmaterial, ist es nicht möglich, eine fundierte Stellungnahme abzugeben. Aussagen, wie: „Bundesweit gibt es mehr als 30.000 Todesfälle durch resistente Keime“, sind aber fragwürdig, wenn zur Begründung auf Abrechnungsdaten von Krankenhäusern verwiesen wird: Eine solche Schlussfolgerung lässt sich daraus doch gar nicht ziehen. Wenn zum Beispiel bei 30.000 im Krankenhaus verstorbenen Patienten multiresistente Erreger nachgewiesen wurden, bedeutet das keineswegs, dass die Patienten auch an diesem Erreger verstorben sind: Sie könnten zum Beispiel auch an einem Schlaganfall verstorben sein. Der alleinige Nachweis von multiresistenten Erregern bei 30.000 Verstorbenen sagt also zunächst einmal gar nichts über die Todesursache aus. Alles in allem sind die in den Medien verbreiteten Zahlen höchstwahrscheinlich viel zu hoch.
Frage: Wie die Darstellung auch ist, Fakt ist: Es sterben Menschen durch multiresistente Keime. Was können Krankenhäuser dagegen tun?
Prof. Bautsch: Die Problematik der „antibiotikaresistenten Bakterien“ wird seit vielen Jahren von Ärzten und medizinischen Fachverbänden öffentlich angeprangert – lange Zeit ohne dass sie sich in der Politik Gehör verschaffen konnten. Viele Gesundheitsversorger haben die Problematik schon seit Längerem erkannt und versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten entgegen zu steuern. Die Bekämpfung ist aber komplex, sie muss auf vielen Ebenen stattfinden. Entsprechende Expertenvorschläge sind schon seit mehreren Jahren publiziert, etwa die DART (Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie)-Initiative beim Bundesgesundheitsministerium. Auf der Ebene des einzelnen Krankenhauses spielen neben rationalem Antibiotikaeinsatz vor allem Hygienemaßnahmen die zentrale Rolle, wie Screening der Patienten auf multiresistente Keime, Infektionserfassung und Händedesinfektion. Aber mit noch so hohem Einsatz werden die Krankenhäuser allein das Problem nicht in den Griff bekommen können: Patienten nehmen bei ihrem Weg durch das Gesundheitssystem die besiedelnden Bakterien mit sich (im Darm oder auf der Haut bzw. den Schleimhäuten). Multiresistente Bakterien finden sich in erheblichem Umfang auch außerhalb von Krankenhäusern: So werden zum Beispiel MRSA-Keime mittlerweile zu circa 90% durch die Patienten selber von außen in das Krankenhaus mitgebracht. Antibiotika begünstigen die Vermehrung multiresistenter Bakterien: Indem antibiotikasensible Bakterien abgetötet werden, können sich die resistenten viel besser vermehren, ein Vorgang, der als „Selektion“ bezeichnet wird. Antibiotika werden aber keineswegs nur im Krankenhaus eingesetzt, sondern sogar überwiegend (circa 85%) außerhalb des Krankenhauses verordnet. Man muss also die gesamte Versorgungskette im Gesundheitswesen betrachten, wenn man substanzielle Verbesserungen erreichen will, denn: „Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied!“
Frage: Das hört sich wie ein Kampf gegen Windmühlen an. Was machen wir hier in der Region ganz konkret?
Prof. Bautsch: In vielen Regionen Deutschlands haben sich die Gesundheitsversorger in sogenannten Hygienenetzwerken zusammengeschlossen. Verlegungsdaten zeigen nämlich, dass die weit überwiegende Zahl der Patienten in einer klar umrissenen Region behandelt wird, jeweils um das maximalversorgende Krankenhaus herum. Zweck dieser Netzwerke ist ein regional abgestimmtes, einrichtungsübergreifendes Vorgehen, um die Ausbreitung (multi-)resistenter Bakterien effizient zu bekämpfen. Auch in unserer Region hat sich vor gut 5 Jahren ein solches Netzwerk gegründet, das Hygienenetzwerk Südostniedersachsen, dem mehrere Landkreise und Städte als Körperschaft angehören. Auch das Klinikum Braunschweig nimmt daran teil. Exemplarisch seien hier einige Aktivitäten des Hygienenetzwerks Südostniedersachsen aufgeführt, die allein oder in Kooperation mit anderen wichtigen Einrichtungen der Region durchgeführt wurden und werden:
Die Krankenhäuser der Region erheben fortlaufend ihre MRSA-Infektionsraten und führen diese zentral in der Arbeitsgruppe „Krankenhäuser“ zusammen. Diese Maßnahme wird jetzt auch auf andere Erreger ausgeweitet. In Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (HZI) wurde zudem die epidemiologische Situation für MRSA in Prävalenzstudien in Krankenhäusern und Seniorenheimen analysiert. Und solche Aktivitäten zeigen Auswirkungen: Mehrere Krankenhäuser der Region haben ihre Screeningbemühungen in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet.
Unter geeigneten Umständen lässt sich eine MRSA-Besiedlung durch Behandlung mit Haut- und Schleimhaut-desinfizierenden Mitteln beseitigen. Diese arbeits- und zeitintensive Maßnahme kann häufig erst nach einem Krankenhausaufenthalt in der Nachsorge durchgeführt werden: Hierzu bietet das Netzwerk Schulungen für stationäre und ambulante Pflegedienste an, die sehr gut angenommen werden.
In vielen Einrichtungen gibt es Informationsbroschüren für Patienten und Angehörige zu speziellen Erregern, etwa MRSA, in denen hygienische Maßnahmen und Verhaltensempfehlungen gegeben werden. Die Inhalte sind aber häufig einrichtungsspezifisch formuliert, Empfehlungen im Krankenhaus gelten zum Beispiel nicht zwingend auch in Seniorenheimen, Arztpraxen oder dem privaten Umfeld. Das Hygienenetzwerk hat daher eine einrichtungsübergreifende Informationsbroschüre in Abstimmung mit den Gesundheitsversorgern der Region und dem Niedersächsischen Landesgesundheitsamt erstellt. Solche Projekte werden begleitet von einer umfangreichen Fortbildungs- und Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, Fortbildungsveranstaltungen für Fachpersonal und allgemeine Öffentlichkeit, Weiterbildungskurse für Ärzte etc.). Das Netzwerk beteiligt sich auch an der Niedersächsischen Antibiotikastrategie, die vom Niedersächsischen Landesgesundheitsamt getragen wird: Es nimmt an der Ausbildung von Krankenhaus-Ärzten im „Basiskurs Antibiotikatherapie“ teil und hat an der Erstellung des „Antibiotika-Ratgebers“ für niedergelassene Ärzte mitgewirkt.
Frage: Wenn schon so viel gegen die Erreger getan wird, woher kommen dann immer neue?
Prof. Bautsch: Es darf nicht vergessen werden, dass die Entwicklung und Ausbreitung multiresistenter Bakterien auch durch Einflüsse außerhalb des eigentlichen Gesundheitswesens begünstigt wird, auf die dann auch Hygienenetzwerke keinen Einfluss haben. So werden wir zum Beispiel in Deutschland im Durchschnitt immer älter. Höheres Alter geht aber mit einer zunehmenden Abwehrschwäche, daher häufigeren Infektionen und entsprechend höherem Bedarf an Antibiotikatherapien einher, was wiederum die Selektion resistenter Bakterien begünstigt, wie ich bereits erklärt habe. Wir Deutschen verreisen gerne: Gerade in vielen touristisch interessanten Gebieten der Erde sind die hygienischen Verhältnisse aber erheblich schlechter als in Deutschland und die Resistenzraten bei vielen Erregern ungünstiger. Als Touristen können wir solche Keime erwerben und sie dann bei der Reiserückkehr nach Deutschland „importieren“. Und man darf auch nicht vergessen, dass Antibiotika keineswegs nur in der Humanmedizin eingesetzt werden. Gerade in der Massentierhaltung werden diese nämlich in noch sehr viel höherem Umfang eingesetzt als in der Humanmedizin.
Frage: Heißt das im Umkehrschluss: Wenn ich mich vor den resistenten Keimen schützen will, sollte ich besser keine Fernreisen unternehmen, fleischlos leben und vor allem keine Antibiotika zu mir nehmen?
Prof. Bautsch: Nein! Meine Bemerkung sollte einfach darauf hinweisen, dass wir in einer vernetzten Welt leben, in der Vorgänge in anderen Ländern und ganz anderen Industriezweigen uns direkt betreffen können und zwar in einer Art und Weise, an die wir im Vorfeld gar nicht gedacht haben. Im Übrigen würde es auch nur begrenzt helfen, wenn wir selber nicht mehr in andere Länder reisen würden, es aber unsere Nachbarn, Politiker, Künstler, Wissenschaftler, Gewerbetreibende, aber auch Flüchtlinge usw. weiterhin tun, ja tun müssen. Und eine echte Abkapselung vom Rest der Welt kann ja wohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Antibiotika wiederum sind lebensrettend, ein „Segen der Menschheit“, wenn wir es mit lebensbedrohlichen Infektionen zu tun haben!
Das bedeutet aber nicht, dass wir als Patienten, Touristen und politisch mündige Bürger nicht auch in unserem Rahmen etwas tun können. Um ein paar Beispiele zu nennen: Wir können vor Reisen unseren Impfstatus überprüfen und gegebenenfalls auffrischen, uns an die empfohlenen Hygienemaßnahmen halten (etwa in bestimmten Regionen nur abgefülltes Trinkwasser zu verwenden), als Patienten nicht bei jeder „Erkältung“ ein Antibiotikum einfordern und politisch auf eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion pochen, die möglichst ohne (oder zumindest mit deutlich weniger) Antibiotika auskommt, selbst wenn das bedeutet, dass Fleisch teurer würde.
Zur Person:
Prof. Dr. Dr. Wilfried Bautsch ist Chefarzt des Instituts für Mikrobiologie, Immunologie und Krankenhaushygiene am Klinikum Braunschweig. Mit mehr als 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das Institut für die Labordiagnostik in den Bereichen Klinische Chemie, Serologie, Hämatologie, Gerinnung, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene zuständig. Prof. Bautsch ist zugleich der bestellte Krankenhaushygieniker des Städtischen Klinikums. Er ist damit fachlich für die Erstellung und Bewertung von Hygieneempfehlungen zuständig und hat die Geschäftsführung der Hygienekommission inne, die verbindliche Beschlüsse zu den klinikumsinternen Hygieneabläufen fasst. Dieser gehören neben Vertretern der Verwaltung, der Pflege, verschiedener Institute des Klinikums auch sämtliche hygienebeauftragten Ärztinnen und Ärzte an. Prof. Bautsch leitet zudem die Antibiotika-Kommission am Klinikum Braunschweig und hat im Jahr 2009 das Hygienenetzwerk Südostniedersachsen mitgegründet.