Neuroimmunologie
Dr. Alexander Sieke
Das zentrale Nervensystem (ZNS) kann Ziel autoimmun-entzündlicher Entzündungsvorgänge sein. Hierbei sind keine Erreger Ursache der Entzündung, sondern fehlgesteuerte Reaktionen des körpereigenen Immunsystems, die sich gegen das Gehirn oder das Rückenmark richten.
Eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen des ZNS ist die Multiple Sklerose (MS). Allein in Deutschland sind etwa 240.000 Menschen von dieser Erkrankung betroffen, und jedes Jahr kommen etwa 2.500 neue MS-betroffene Menschen hinzu. Es handelt sich um eine chronische, voranschreitende, bislang noch nicht heilbare Erkrankung, deren Ursache weiterhin unklar ist.
Da die Entzündungsreaktionen zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Teilen des ZNS stattfinden können, sind das Erscheinungsbild und Verlauf der Multiplen Sklerose sehr variabel – man spricht daher auch von der „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“. Bei den meisten MS-Patienten (80%) beginnt die Erkrankung mit Krankheitsschüben, deren Symptome sich im Verlauf mehr oder weniger wieder zurückbilden können. Im Laufe der Zeit – meist um das 45. bis 50. Lebensjahr – kommt es zu einer Abnahme der Entzündungsschübe und stattdessen zu einer langsamen Verschlechterung bestimmter Funktionen des Nervensystems. Bei wenigen MS-Patienten (10-15%) schreitet die Erkrankung hingegen von Anfang an schleichend ohne abgrenzbare Schübe voran.
Die Diagnose der Multiplen Sklerose stützt sich auf die Kombination mehrerer Befunde. Hierzu gehören: die sorgfältige Erhebung der Krankheitsgeschichte (Anamnese), die sorgfältige körperlich-neurologische Untersuchung mit der Suche nach betroffenen Funktionsstörungen des Nervensystems, die korrekte Deutung der MRT-Bildgebungsbefunde (Magnetresonanztomographie bzw. Kernspintomographie), die Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) nach einer Lumbalpunktion sowie die Messung der Nervenleitung (evozierte Potentiale). Erst wenn diese Untersuchungen passende Ergebnisse im Sinne einer örtlich und zeitlich verteilten Krankheitsaktivität erbringen und keinerlei Hinweise für andere Erkrankungen nachweisbar sind, kann die Diagnose mit einer hinreichenden Sicherheit gestellt werden. Dank immer besserer und standardisierter Bildgebungsverfahren und dank zuverlässigerer Erfahrungen in der Verlaufsbeurteilung kann die Diagnose inzwischen deutlich früher gestellt werden, zum Teil sogar schon beim ersten Krankheitsereignis.
In der Therapie der Multiplen Sklerose unterscheidet man 3 Aspekte: die akute Therapie des Schubes, die Immuntherapie zur Vermeidung der Krankheits- und Schubaktivität sowie die symptomatische Therapie zur Linderung von Funktionsstörungen, die durch die Erkrankung bereits eingetreten sind. In der Schubtherapie bieten wir neben der standardisierten intravenösen Kortison-Stoßtherapie auch die Möglichkeit der Plasmapherese oder Immunadsorption bei besonders schweren oder hartnäckigen Schüben; hier kooperieren wir mit der Nephrologischen Klinik unseres Klinikums. In der Immunprophylaxe bieten wir die Einleitung hocheffektiver Therapien an, die Erfahrungen in der Anwendung und im Management voraussetzen. Hierzu zählen die Einstellungen auf Tabletten-Therapien (z.B. Fingolimod), auf Antikörper-Therapien (z.B. Alemtuzumab, Nalalizumab, Ocrelizumab) oder auf Chemotherapeutika (z.B. Mitoxantron).
Die Neurologische Klinik des Klinikums Braunschweig ist ein von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft zertifiziertes MS-Zentrum. Zudem bietet unsere Klinik eine von speziell geschulten MS-Schwestern betreute MS-Sprechstunde zur Unterstützung und Beratung neu diagnostizierter sowie langfristig betroffener Patienten mit der Diagnose Multiple Sklerose an.
Neben der MS gibt es weitere Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems, die in unserer Klinik diagnostiziert und gezielt immuntherapeutisch behandelt werden. Hierzu gehören z.B. die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD), die Neurosarkoidose oder auch die – meist antikörpervermittelten – Autoimmunenzephalitiden.